Rot und Orange, Weiß und Schwarz-Lila, Ocker und Beige: Die erdigen Farben in den Tonschalen lassen sofort eine Sehnsucht nach Wüstensand und orientalischen Marktgerüchten aufsteigen. Komponiert hat diese kulinarische Farbpalette Shah Mahmood Ahmadzai. Er möchte uns heute den Zauber der afghanischen Küche näherbringen und hat dafür die Zutaten für das Festtagsessen seines Heimatlandes bereitgestellt. Lammfleisch und Basmatireis, Möhren, dunkle Rosinen, Mandeln, Gewürze. Münsterland goes Morgenland also – und das hinter klösterlichen Mauern, sehr cool.
Shah Ahmadzai arbeitet nämlich seit anderthalb Jahren als Azubi zur Fachkraft im Gastgewerbe bei Küchenmeister Martin Laubrock im Café des DA Kunsthaus Kloster Gravenhorst in Hörstel. Hier ist der 19-Jährige in der Küche und im Service eine mittlerweile unverzichtbare Kraft und organisiert auch mal federführend ganze Events wie die Verköstigung bei einer Kunstaktion zum Kohleausstieg in Ibbenbüren.
Aber bis hierher war es ein weiter Weg – wortwörtlich. Vor drei Jahren wagte Shah Ahmadzai gemeinsam mit einem guten Freund die Flucht aus Afghanistan. In seinem kleinen Heimatdorf nahe Kabul war das Leben nicht mehr sicher für seine Familie. Nachdem Shah Ahmadzai den Tod seines Vaters hatte verkraften müssen, nahm er sein Schicksal selbst in die Hand: in der Hoffnung auf ein Leben ohne Krieg und Verfolgung.
Mit viel Mut hat er die entkräftende Flucht überlebt. Unwillkürlich denkt man an das Wort Schicksal, wenn man sieht, dass ihn der lange Weg schließlich in eine wahre Trutzburg geführt hat: Umgeben von 800 Jahre alten, dicken Klostermauern steht der junge Afghane am Herd.
Den Tonschalen entnimmt er jene Zutaten, die in seiner Heimat zu ganz besonderen Anlässen wie Hochzeiten oder dem Ende der Fastenzeit zusammen gekocht werden. „Kabuli Palau“ heißt das Nationalgericht, dessen Hauptzutaten Lammfleisch und Basmatireis sind. Etwa zwei Stunden dauert die Zubereitung – es ist also viel zu tun und zwischendurch Geduld gefragt.
Shah Ahmadzai, der durch Vermittlung seines Betreuers von der Evangelischen Jugendhilfe seine Ausbildung begann, ist jetzt dabei, das Lammfleisch mit Zwiebeln anzubraten und nimmt lächelnd die Tipps von seinem Chef entgegen. „Der Knochen kann gleich ruhig mit in den Topf“, rät Martin Laubrock, während er lobend drauf hinweist, dass man in Shah den wahren Praktiker erkenne. „Er wischt sich nämlich nach jedem Arbeitsschritt die Hände mit dem neben ihm liegenden Tuch ab.“
Die zweijährige Ausbildung der IHK neigt sich bereits dem Ende zu. Im Mai stehen die schriftlichen Abschlussprüfungen an, denen der 19-Jährige aber ohne Furcht entgegenblickt. Natürlich gibt es hin und wieder ein paar sprachliche Probleme. „Welches Wort war das noch, das du gar nicht kanntest?“ erinnert sich Martin Laubrock an die Anfänge des gemeinsamen Arbeitens. „Kohlrabi“, antwortet Shah lachend. „Ich hatte kein Wörterbuch. Das meiste war erstmal Sprechen vom Bauch heraus.“
Mittlerweile klappt die Verständigung bestens und auch kleine Dinge im Arbeitsalltag des Afghanen, wie zum Beispiel die Zubereitung von Schweinefleisch mit Handschuhen, zeigen, wie einfach Integration sein kann, wenn alle an einem Strang ziehen.
So lässt Martin Laubrock seinen Zögling auch nur ungern gehen, doch eine feste Anstellung ist nach der Ausbildung nicht im Stellenplan enthalten. „Ich verbürge mich für Shah, der ist ein Guter und ich behalte ein Auge auf seinen Werdegang. Ich bin überzeugt, dass er einen Job bekommt“, sagt der Betriebsleiter des Klostercafés.
Shah Ahmadzai ist währenddessen damit beschäftigt, Möhrenstifte in Zucker und Öl anzuschwitzen. „Das gibt neben dem Geschmack einen schönen Glanz“, verrät Martin Laubrock. Angeschwitzt werden auch die Rosinen und Mandeln. Und plötzlich weckt der Duft der afghanischen Küche eine Kindheitserinnerung: gebrannte Mandeln auf dem Weihnachtsmarkt. Bei Shah hingegen müssen jetzt sicher Erinnerungen an die Küche seiner Mutter aufsteigen. Ist der Geruch der Speisen aus der Kindheit nicht immer gleichbedeutend mit Zuhause? Wie viel Kraft mag es erfordern, sich tausende Kilometer entfernt von der Heimat und ohne das Wissen um den Verbleib der eigenen Familie ein neues Leben aufzubauen?
Shah Ahmadzai hat schon früh Interesse am Kochen entwickelt. Als kleiner Junge habe er, wie er zurückhaltend erzählt, seiner Mutter beim Kochen zugesehen und geholfen. Reis werde in Afghanistan beispielsweise so häufig verwendet wie hier Kartoffeln. Täglich werde frisch eingekauft, ergänzt Martin Laubrock, da die meisten Familien nicht über viele Lagerungsmöglichkeiten verfügten. Diese Liebe zum Produkt hat Shah Ahmadzai von Zuhause mitgebracht und ist damit bei seinem Chef goldrichtig.
Dieser verfeinert seine Gerichte nämlich am liebsten mit selbst gepflanzten und geernteten Zutaten und verwendet wie selbstverständlich Produkte aus der Region. Seit Ende Februar wächst der Bärlauch fürs besonders schmackhafte Pesto wieder am Kloster. Auch Grünkohl wird selbst angepflanzt, Brot selbst gebacken. Im Café gibt’s Kuchen, Eis und warme Küche – immer mit Blick auf die Wertschöpfungskette und den Vorzug regionaler Produkte.
Bei Martin Laubrock hat Shah Ahmadzai, der sich wünscht, in seiner neuen Heimat bleiben zu können, die Küche des Münsterlandes kennen und lieben gelernt. Jegliche Art frischen Gemüses hat es dem 19-Jährigen besonders angetan und auch Flammkuchen in den kreativsten Varianten sind seine Spezialität. „Viele deutsche Sachen kannte ich nicht“, erinnert er sich an die Anfänge seiner Ausbildung. Mittlerweile wohnt Shah Ahmadzai in einer eigenen Wohnung, geht nach Feierabend zum Kickboxen und bekocht privat gerne seine Freunde. Der junge Mann ist angekommen. Und sicherlich hat auch Martin Laubrock mit seiner offenen Art und Annahme der Erfahrungen seines Zöglings einen gehörigen Anteil daran.
Ein gemeinsames Abendessen an ihrem freien Tag – das Café wurde extra für unser Treffen geöffnet! – ist da also mehr als verdient. Ein afghanisches Festtagsgericht mit einigen regionalen Zutaten und Tipps von einem Experten der westfälischen Küche, zubereitet hinter Klostermauern von einem jungen Afghanen, der gerne in der münsterländischen Gastronomie weiterarbeiten würde. So funktioniert also die Verschmelzung der alten und der neuen Heimat.
Das Rezept für „Kabuli Palau“ findet ihr hier.