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Brennerei und Hof Schulze Rötering

Familienmenschen: Martin, Hildegunde und Anna-Clarissa Schulze Rötering.
Foto: Münsterland e.V. / Romana Dombrowski

Ein paar übereifrige Bachstelzen flattern den kleinen Weg vor mir entlang, ein Fasan duckt sich schnell in eine Hecke, während ich in Schrittgeschwindigkeit durch die friedliche Landschaft zuckle. Vogelzwitschern begleitet mich schon eine längere Zeit und in Sichtweite fährt eine ältere Dame auf ihrem Rad gemächlich in Richtung Prozessionsweg. An diesem Weg liegt der Hof Schulze Rötering, inmitten von Feldern zwischen Ahlen und Sendenhorst. Als hätte jemand hier ein Bilderbuch zum Begriff „ländliches Idyll“ gestaltet, schmiegen sich die Gebäude des Gräftenhofes in die Kulturlandschaft.

Im Schatten einer prächtigen Platane liegt linker Hand der Hofladen. Dort begrüßt mich die Hausherrin Hildegunde Schulze Rötering. Natürlich ohne Händedruck, aber mit einem umso herzlicheren Lächeln. Seit Jahrzehnten führt sie mit ihrem Mann Martin den Hof, dessen Tradition sage und schreibe bis ins Jahr 1340 zurückreicht.

Wie vielseitig so ein landwirtschaftliches Leben ist, wenn man es mit Ideen und jeder Menge Leidenschaft füllt, zeigt schon diese Übersicht: Es gibt nicht nur den gut sortierten Hofladen, in dem es landwirtschaftliche Produkte wie Erdbeeren und Spargel von den eigenen Feldern gibt. Darüber hinaus gibt es das Landgasthaus, das Backhaus und … die alte Brennerei. Edelste Liköre und Geiste kommen hier quasi vom Feld direkt in die Flasche, die Rohstoffe stammen zu hundert Prozent aus eigener Herstellung.

Der Weizen zur Alkoholherstellung wird selber gesät, geerntet und für die Spirituosen verwertet. Ehrensache, dass die Brennerei-Produkte mit dem Münsterland-Siegel ausgezeichnet sind.

Eine Auszeichnung hätte der Familienbetrieb noch in ganz anderer Hinsicht verdient. Als die Corona-Pandemie in Deutschland das Leben still stehen ließ, arbeitete Martin Schulze Rötering mit der Familie und den Mitarbeitern doppelt so viel, um eine plötzlich sehr kostbare Substanz herzustellen: Ethanol. In den Apotheken, Krankenhäusern oder Selbsthilfeeinrichtungen wurden die Desinfektionsmittel bekannterweise schnell knapp und die Brennerei konnte Akuthilfe leisten.

„Besonders in Süddeutschland war die Lage aufgrund der hohen Zahlen ja besorgniserregend. Da haben wir so schnell es ging dorthin geliefert“, erzählt Hildegunde Schulze Rötering. Auch andere Kollegen wie die Feinbrennerei Sasse aus Schöppingen und Beckschulte Spirituosen aus Havixbeck – beide ebenfalls Mitglied im Münsterland-Siegel – fuhren ihre Produktionen hoch, um den Grundstoff für Desinfektionsmittel herzustellen.

„Es war eine sehr deprimierende, sehr schwierige Zeit. Aber jetzt gucken wir zuversichtlich nach vorn“, sagt Hildegunde Schulze Rötering, während wir ins Innere des fein sortierten Hofladens schlendern. Dieses Gebäude war das erste, das der Hausherr 1995 translozierte, sprich im Original, Stein für Stein, von einem Ort an den anderen verbrachte und dort wieder genauso aufbaute.

2005 folgten das Landgasthaus (Restaurant und Café), das aus Ahlen stammt, und zeitgleich das Backhaus, das in Hamm-Wambern abgebaut wurde. Das Landgasthaus ist zudem ein Baudenkmal und wird nun im traditionellen Sinne weitergenutzt. Die eigentliche Hofstelle mit der Jahrhunderte währenden Geschichte befindet sich im Innenbereich der Gräfte.

Doch erstmal bleiben wir vor der Brücke, außerhalb der Gräfte, im Hofladen, und schauen uns die Leckereien an: Saisonale Waren wie Spargel oder Erdbeeren (zudem Erdbeersirup oder Erdbeerfruchtaufstrich), sind bei den Kunden besonders beliebt.

Die saftigen Erdbeeren sind bei den Kunden im Hofladen besonders beliebt.
Foto: Münsterland e.V. / Romana Dombrowski

Selbstverständlich zieren passend zu den frischen Waren korrespondierende, hochfeine Brennerei-Produkte die Regale. Pflaume, Himbeere, Haselnuss, Rhabarber, Brombeere: Die Früchte leben als exzellentes Destillat in den schlanken, mit dem Wappen des Heiligen Georgs – er ist der Schutzpatron des Hofes – versehenen Flaschen weiter. Die handwerklich hochwertige Verarbeitung der Destillate zieht Kunden aus Nah und Fern an, beispielsweise zum alljährlichen großen Pfingstfest oder dem malerischen Winterfest im Advent.

Familie Schulze Rötering legt großen Wert darauf, direkt mit ihren Kunden im Gespräch zu sein, daher sind alle Produkte vorrangig am Hof zu erstehen. Die andere Option ist der Online-Shop, denn viele Stammkunden möchten die Ahlener Leckereien genießen, auch wenn sie nicht in der näheren Umgebung wohnen.

Bestes Beispiel: Der Haselnuss-Likör war auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin am Münsterland-Stand der absolute Renner. Brennmeister Martin Schulze Rötering persönlich hat das Münsterland-Siegel im Januar gemeinsam mit dem Genuss-Botschafter der Brennerei, Boris Burat, in die Hauptstadt begleitet – und musste keinerlei offensive Werbung für seine Edelbrände und Liköre machen. Bereits nach dem ersten Schluck waren die Messebesucher vollends überzeugt.

Die Brennerei selber hat schließlich auch eine sehr lange Tradition. 1767 gegründet ist sie bis heute Garant für ausgefallene, qualitätsvolle Destillate. Der Feinbrand, die Grundlage aller Produkte, stammt aus der mit 60 Reinigungsböden ausgestatteten Feinbrand-Kolonne. Mit 19 Metern Höhe wacht sie majestätisch über den 200 Hektar großen Gutshof. Das Schmuckstück hatte Martin Schulze Rötering 2014 von einer Spezial-Firma am Bodensee nach eigenen Vorgaben anfertigen und in Einzelteilen liefern lassen. In dieser Größe, so vermutet es der Brennmeister, gibt es deutschlandweit keine zweite Anlage.

„In diesem Ausmaß hatte die Firma in Süddeutschland noch keine Anlage angefertigt. Und die bauen ausschließlich Destillen“, erzählt auch Anna-Clarissa Schulze Rötering, die selbstbewusst und mit großer Freude in die Fußstapfen ihres Papas tritt. Die 28-Jährige ist ganz bewusst in die Ahlener Hofidylle zurückgekehrt – nicht allerdings, ohne vorher in Köln und Düsseldorf ein bisschen Glamour einzupacken. Anna Clarissa ist ausgebildete Make-up-Artistin und auch Friseur-Meisterin. Das Herz aber hat sie zurück in die Heimat geschickt.

Anna-Clarissa tritt in die Fußstapfen von Papa Martin. Foto: Gassner Studios

Seit 2017 arbeitet und lernt Anna-Clarissa in der Brennerei das Handwerk von der Pike auf. Zurzeit absolviert sie die weitere Ausbildung und Qualifikation zur Destillateurmeisterin an der IHK Berlin. Diese Prüfung ist übrigens die höchste Ausbildungsstufe, die im deutschsprachigen Raum in der Spirituosenherstellung erreichbar ist. Und ja, Frauen sind in diesem Berufszweig gelinde gesagt in der Unterzahl. „Das stört mich nicht“, sagt die 28-Jährige lachend. „Ich weiß, dass es für mich die perfekte Berufswahl ist.“

Die Prüfung wird nur alle drei Jahre und nur in Berlin angeboten, wie mir die Pressestelle der IHK Berlin erklärte. 2017 haben neun Teilnehmer an der Prüfung teilgenommen, davon eine Frau. Für die Herbstprüfung 2020 haben sich 16 Teilnehmer angemeldet, darunter zwei Frauen.

Mmmhh…einer besser als der andere. Foto: Münsterland e.V. / Romana Dombrowski

Egal ob ein Mann Hebamme wird oder eben eine Frau Destillateurmeisterin: Es ist immer bewundernswert, wenn sich Menschen ihren ganz eigenen Platz in einem geschlechtsstereotypen Berufszweig erarbeiten. Das sollte viel öfter passieren und Leute wie Anna-Clarissa Schulze Rötering gehen ganz offensiv gegen klischeehafte Rollenbilder in der Arbeitswelt vor. Respekt!

Wie gut sie und ihr Vater das Handwerk verstehen, hat übrigens auch eine sehr bedeutende Auszeichnung 2019 bewiesen: Die Brennerei wurde beim internationalen Wettbewerb „World-Spirits Award“ mit der höchsten Auszeichnung „Distillery of the Year“ geehrt. Zudem erhielt sie sechs Gold- und eine Silbermedaille als „World Class Distillery“.

„Ich habe neben meinem Kollegen Rüdiger Sasse gesessen und gar nicht ganz genau hingehört, weil ich wirklich nicht mit dieser Auszeichnung gerechnet habe. Als dann plötzlich unser Name genannt wurde, konnte ich es erst gar nicht begreifen und war total überwältigt“, erinnert sich Martin Schulze Rötering an die Gala in Italien. Und: „Rüdiger Sasse hat als einer der ersten herzlich gratuliert.“

Ach, ich mag die Münsterländer einfach.

Wenn es euch genau so geht, lege ich euch einen Besuch auf dem Gräftenhof in Ahlen wärmstens ans Herz, schließlich wird dort jeder fündig, der frische, regionale und mit Handwerkskunst hergestellte Lebensmittel liebt. Und davon gibt es so einige, oder?

Text und Fotos, soweit nicht anders angegeben: Miriam Lethmate

Ein herzlicher Dank geht an meine Kollegin Romana Dombrowski, die bei unserem Besuch viele wunderbare Bilder wie die folgenden gemacht hat.

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