
Wenn die Obstbäume in voller Blüte stehen und der Spargel geerntet wird, träumt Philipp Ahlers-Kemper von Weihnachten. Schon im Mai knetet er freudig den Teig für Printen, backt im Juni erste Stollen, um neue Ideen auszuprobieren, und nimmt ab August Bestellungen für vielfältiges Adventsgebäck entgegen. Beim BillerBäcker ist der Geist der Weihnacht allgegenwärtig.
Nach alten Familienrezepten entstehen in der Bäckerei, die 1924 in Billerbeck gegründet wurde, himmlische Leckereien, die ab Anfang November von sehnsüchtig wartenden Kunden reichlich nachgefragt werden. Beim BillerBäcker gibt es Regale voller Kreationen, mit denen man sich jeden Tag der dunklen Jahreszeit versüßen möchte. Alleinstellungsmerkmal im Münsterland: 35 Sorten feinster Stollen in allen erdenklichen Geschmacksrichtungen. Oh, das schreit – oder vorweihnachtlich ausgedrückt jauchzt – nach einem Besuch!
Dieser führt mich ins Herz von Billerbeck, schräg gegenüber des Doms, und ich trete aus dem grauen Meimel ein in die Bäckerei mit Café und offenem Blick in einen Teil der Backstube. Binnen Sekunden schwenkt mein Blick jedoch weg von den herzallerliebsten Knusperhäuschen auf der Theke, in Richtung des warmen Glanzes vorm Cafébereich. Helle Holzregale bieten eine Heimat für jedwede aus Teig und Zucker geformte, vorweihnachtliche Genussphantasie: Schokonikoläuse, Lebkuchenmännchen, Figuren und Obst aus Marzipan, Printen und Spekulatius verschiedenster Ausführungen, Hexenhäuser, Baumkuchenspitzen, Schokoladentafeln, Zimtsterne und natürlich die berühmten Stöllchen.
Als mich Bäckermeister Philipp Ahlers-Kemper willkommen heißt, folge ich ihm mit einem klitzekleinen Zögern von der zuckersüßen Pracht in den Cafébereich. Zum heißen Milchkaffee darf ich jedoch sogleich einen Spekulatius genießen. Der neue Chef – im Sommer hat er den Betrieb von seinem Vater Peter Ahlers-Kemper übernommen – erzählt von den Anfängen des BillerBäcker’schen Winterwunderlandes: „Vor 20 Jahren haben wir überlegt, ob sich eine Handwerks-Bäckerei noch lohnt. Da war die Konkurrenz durch die Discounter enorm. Mein Vater ist dann auf die Idee mit den handwerklich hergestellten Stollen gekommen. Ein großer Aufwand, aber es lohnt sich total und macht einfach Spaß!“
Dazu muss man wissen, dass der 40-Jährige nicht nur Bäckermeister, sondern ebenfalls Koch und Konditor ist. Drei Handwerksberufe zu erlernen fordert eine Menge Mut, Kreativität, eventuell auch eine Portion Verrücktheit. So lassen sich jedenfalls die ausgefallenen Stollen-Sorten wie Walnuss-Feige oder Tomate-Bärlauch erklären. Die alteingesessenen Mitglieder der Bäcker-Innung fanden diese Kreationen nicht wirklich überzeugend. „Fünf Jahre in Folge wurde Tomate-Bärlauch bei der Stollen-Prüfung abgelehnt. Dann kam ein neuer Prüfer, der ihn unbedingt probieren wollte und da wurde die Sorte plötzlich zugelassen“, erzählt Philipp Ahlers-Kemper schmunzelnd.
Andere Ideen kamen von Kunden. „Mach doch mal ’nen Hot-Dog-Stollen“, rief jemand vollmundig auf dem Weihnachtsmarkt. Und wunderte sich sehr, als der Bäckermeister ihn genau ein Jahr später an gleicher Stelle bat, das Pikante Stöllchen zu kosten. Schinken-Käse-Salami – kam super an!
Beim Blick in die Regale finde ich natürlich auch den klassischen Butter-Marzipan-Stollen sowie Überraschungen wie das Stephanus-Bräu-Stöllchen, mit feinstem Stephanus-Bier als Zutat, oder den Aperitif-Stollen mit einem Schuss fruchtigem Amérie. Ja, meine Einkaufstüte wird wohl voll werden …
„Wir verwenden nur natürliche Zutaten, wann immer möglich aus der Region. Konservierungsstoffe und künstliche Aromen gibt´s hier nicht“, sagt der Chef. Die Produkte tragen zudem alle das Münsterland-Siegel, was im Münsterland gefertigte Produkte auszeichnet. Regionalität, Nachhaltigkeit, Tradition prägen den Familienbetrieb. So wird der Printenteig beispielsweise schon im April geknetet: Er ruht ganze sechs Monate. Greift man auf ganz alte Rezepte zurück, sei diese Zeitspanne normal, weiß Ahlers-Kemper.
Die große Liebe zum traditionellen Handwerk zeigt sich auch am eindrucksvollen Wandschmuck im kompletten Laden. Zahlreiche Modeln aus Holz rahmen die Ware ein. Modeln, gesprochen mit langem O, erfahre ich, nennt man die Formen für Spekulatius. Seniorchef Peter Ahlers-Kemper sammelt diese seit Jahrzehnten, fast 1000 Stück hat er bereits erstanden. Sein größter Stolz ist eine Form aus dem Jahr 1536 – und ja, sie wird immer noch genutzt – sowie eine Friedensreiter-Form aus dem 17. Jahrhundert, von der es laut Ahlers-Kemper weltweit nur noch eine weitere gibt.
Spannenderweise wird der Spekulatius umso besser, je länger das Holz abgelagert wurde, mindestens 20 Jahre sollen es sein. Der feuchte Teig wird in die Model gepresst, trocknet dort und wird dann mit einem beherzten Schlag auf die Tischkante herausgeholt, um in den Ofen zu wandern.
Eine Model mit gleich vier verschiedenen Friedensreitern präsentiert Peter Ahlers-Kemper gerade in der großen Backstube dem Nachwuchs vom Oswald-von-Nell-Breuning-Berufskolleg aus Coesfeld. Unter Einhaltung sämtlicher Corona-Schutzregeln nehmen die Azubis zum Bäcker/zur Bäckerin und Bäckereifachverkäufer/in am Stollen-Seminar teil. Vor allem für die angehenden Verkäufer/innen im zweiten Lehrjahr ist es etwas Besonderes, in eine Handwerks-Backstube blicken und auch mit backen zu dürfen.
„Ihr seht heute die komplette Herstellung der Stollen. Das Marzipan machen wir natürlich auch selber“, erklärt der 66-jährige Bäckermeister, während die Schüler/innen zwischen 16 und 24 Jahren ihm beim Mehlvermengen über die Schulter blicken.
Später wird der Nachwuchs Teig kneten, Schokolade raspeln, Lebkuchen formen, Kuvertüre verstreichen. Immer begleitet von gutgelaunten Anweisungen wie: „Du sollst es abstreichen, nicht zukleistern!“ oder „Seitlich hinlegen, genau, seitlich. Ja, siehste, die Schokolade klebt nämlich …“
Als das erste Blech knuspriger Friedensreiter-Spekulatius aus dem Ofen kommt, treibt mich dieser herrliche Duft zurück in den Laden. Ich muss mir unbedingt eine schöne Auswahl für die Adventssonntage zusammenstellen.
Das Gebäck ist nachhaltig in Schraubgläsern mit hübsch verziertem Deckel verpackt. „Wenn das Glas zurückgebracht wird, kriegt der Kunde ein Brötchen gratis“, erklärt Philipp Ahlers-Kemper sein pfiffiges Pfandsystem. Lebkuchen und Stollen sind, wie ich vermute aufgrund der Frische, in Plastik eingepackt. Nein, Paula, falsch vermutet! Auch hier spielt Nachhaltigkeit eine große Rolle für den BillerBäcker. Die Verpackungen bestehen aus Altpapier, das mit Milchsäure beschichtet ist, und aus Zellulose. „Kein Plastik!“, schmunzelt Ahlers.
Frohen Mutes greife ich also zu, lege Marzipan, Schokolade und Spekulatius in meine Tüte und jauchze entzückt, als ich das Einhorn-Stöllchen entdecke. Was für ein fabelhaftes Geschenk für alle, die Märchen aus dem Winterwunderland lieben!
PS: Der Besuch beim BillerBäcker macht einfach gute Laune, daher noch schnell der hier für euch 😉
Treffen sich zwei Rosinen. Fragt die eine: „Warum hast du denn einen Schutzhelm auf?“ Sagt die andere: „Na, ich muss doch jetzt in den Stollen!“
Text und Fotos: Miriam Lethmate