E-Center Wilger

Der große Parkplatz, der Supermarkt auf einer Fläche von 2500 Quadratmetern, Regale gefüllt mit über 30.000 Produkten. Nein, auf den ersten Blick erwartet man hier keine Geschichte von drei Generationen, keine Erzählungen von blechernen Milchkannen oder holpernden Kutschen. Wie doch der erste Eindruck täuschen kann.

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Der große Markt an der Boumannstraße.

Die Wurzeln des heutigen Edeka-Centers Wilger in Borken erstrecken sich bis in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, als Milch eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel war, und sie liegen tief verankert in der Familie von Hubert Wilger. Der 57-Jährige und seine Frau Elisabeth empfangen mich mit einem herzlichen Lächeln im Büro des Supermarktes an der Boumannstraße, der auf den ersten Blick so gar nichts mehr von einem Tante-Emma-Laden hat. Wie auch? Diese Art des Verkaufs gehörte in ein anderes Zeitalter. Oder? Denn das Konzept „Tante Emma“ hat den Grundstein gelegt für die die Authentizität, das Wissen, die Erdung, die den Charme der Wilgers ausmachen.

Mit einem großen Sprung geht es ins Jahr 1937, als der Chef sich an die Anfänge des Milchhandels erinnert, den seine Mutter unweit des heutigen Standortes gründete. Sepia-Bilder von dunklen Wintermorgen, quietschenden Pferdewagen und einer dick eingemummten 22-Jährigen steigen auf. Maria Wilger war damals die Milchfrau, die bis in die Nachkriegszeit in eingeteilten Bezirken bei Wind und Wetter frische Milch zu ihren Kunden brachte. Da Marias Ehemann Heinrich mit Leidenschaft Geflügel züchtete, gehörten bald auch Eier und Suppenhühner zum Sortiment. „Schon als kleiner Junge habe ich neben den Eiern vorne mit auf dem Wagen gesessen“, erinnert sich Hubert Wilger, Jahrgang 1959.

Die elterliche Wohnung am Horaper Weg verwandelte sich immer mehr in ein Ladenlokal: die Theke im Flur, die losen Lebensmittel im Wohnzimmer, später auch im Schlafzimmer. „Wir mussten immer weiter aus dem Erdgeschoss weichen“, erzählt Wilger schmunzelnd. In seiner Stimme schwingt kein Bedauern, das rege Treiben Zuhause faszinierte den kleinen Jungen. Doch das Schicksal traf ihn hart, als er sechsjährig seine Mutter verlor. Vater Heinrich Wilger stemmte fortan Kind, Laden, Auslieferung und schaffte es sogar, das Geschäft weiter auszubauen. Eine harte Zeit, die vielleicht Hubert Wilgers Unerschrockenheit und Zielstrebigkeit mit formte.

Ganz selbstverständlich begann er nach der Schule eine kaufmännische Ausbildung in einem Einzelhandel in Bocholt, setzte noch den Fleischermeister oben drauf und war bestens gewappnet für die Mitarbeit im Familienbetrieb. Dass er im Alter von 28 Jahren dann aber die ganze Verantwortung schultern musste, bedingte ein weiterer Schicksalsschlag: Senior Heinrich Wilger verstarb 1988, als die Planungen für den Ausbau des Ladenlokals im elterlichen Haus in vollem Gange waren. „Mein Vater hatte über den Plänen gebrütet und seine ganze Energie in den Umbau gesteckt. Wir wollten dann natürlich auch in seinem Andenken das Beste rausholen und haben von 300 auf 700 Quadratmeter vergrößert.“

Einen spannenden Satz lässt Hubert Wilger wie nebenbei fallen: Im Geschäft seiner Eltern sei es schon um Regionalität gegangen, als andere nicht mal darüber nachdachten, was diese bedeuten könne. Ihre Milch hatten die Wilgers immer von jener Molkerei an der Boumannstraße bezogen, deren Grundstück sie Mitte der 90er kauften, da die Genossenschaft nicht mehr existierte. Gemüse, Honig, Bier – in Wilgers Regalen lagen lokale, regionale Waren.

Oder eben auch in der Theke im Hausflur des ersten Geschäfts, in den 80ern, als die Geschäfte samstags noch um 13 Uhr schlossen. Da wurde dann eben auch mal abends an der Haustür geschellt, wenn Getränke fehlten, oder sonntagsmittags noch schnell die Sahne fürs bevorstehende Kaffeekränzchen gekauft. Inhabergeführter Einzelhandel mit lokalen Qualitätsprodukten ausgerichtet auf Kundenwünsche hieße das wohl auf Marketing-Deutsch. Man könnte auch sagen: Ob Flurtheke oder zwei Supermärkte mit insgesamt 4500 Quadratmetern, es geht nicht ohne Herz, Courage und das Wissen um den Wert von Lebensmitteln. „Wir sind eben noch heute ein Tante-Emma-Laden im besten Sinne“, sagt Hubert Wilger lächelnd.

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Zeit für Beratung und zum Probieren

Zwar ist die Edeka seit knapp zehn Jahren Partner, doch der Chef hat große Freiheit bei der Auswahl des Sortiments, ist seit 1996 Besitzer des Grundstücks an der Boumannstraße – „das Filetstück, auch vom Preis her“-  und übernahm im gleichen Jahr auch eine Filiale an der Otto-Hahn-Straße. Elisabeth und Hubert Wilger, Eltern dreier Kinder, fiel die Entscheidung nicht leicht, doch die Investition zahlte sich aus.

Wilger bleibt seinem vom Vater geprägten Leitbild treu: „Alles, was der Kunde wünscht.“ Eben das Beste für den Kunden, der selber aussuchen soll, was das Beste für ihn ist. Wahlfreiheit ist für Hubert Wilger ein entscheidender Wegbegleiter. Gerne soll jeder bei ihm den bekannten Sekt für 2,79 Euro kaufen. Es darf aber ebenso der besondere Wein eines kleinen Familienweinguts aus Rhein-Hessen sein, für den Wilger sich dann auch stark macht, wenn er mehrmals im Jahr zu Wein-Abenden in seinem Geschäft einlädt.

Solche Aktionen – wie auch der Erdbeer-Spargel- und der Fisch-Abend oder kürzlich der 80. Unternehmensgeburtstag mit 40 Gourmetstationen in der Stadthalle – laufen nur mithilfe der  Angestellten. „Als Familienbetrieb wissen wir, dass unsere Mitarbeiter das wertvollste Kapital sind. Und besonders beim Gourmet-Sonntag waren wir sehr stolz auf die gesamte Mannschaft. Der Kunde merkt es ja, wenn der Spaß an der Arbeit echt ist.“

Ihr hohes Engagement zeigen die Mitarbeiter bei einer weiteren Besonderheit: Die hauseigene Küche mit fünf Mitarbeitern, die täglich die Salattheke verfeinern, Desserts zaubern und Rippchen, Schnitzel oder Geschnetzeltes verzehrfertig zubereiten. Da wird die original Münsterländer Herrencreme nicht mit Pulver aus der Packung angerührt – Hubert Wilger kriegt fast Schnappatmung. Nein, der Vanillepudding wird natürlich gekocht und eine ganze Nacht kalt gestellt, bevor die Veredelung mit 80-prozentigen Strohrum stattfindet. So gehört sich das ja auch im Münsterland.

Dieser rote Faden zieht sich durchs gesamte Sortiment. Es gibt keine Bio-Regionalität-Insel, sondern alle Produkte, die beispielsweise mit dem Münsterland-Siegel ausgezeichnet sind, stehen selbstverständlich neben ihresgleichen im Regal. Der industriell hergestellte Honig mit Mischungen aus EU- und Nicht-EU-Ländern ist ebenso zu finden, wie der heimische Honig von Bienen aus Havixbeck. Die Kartoffeln und Eier stammen direkt von Höfen aus Borken. Es gibt Bio-Säfte und Marmeladen aus Coesfeld, Kaffees aus Bocholt und Heiden, Feinbrände aus Schöppingen, Mineralwasser aus Emsdetten und auch Bier von der einzigen Brauerei Europas, die integrativ arbeitet.

Als Fleischermeister hängt Hubert Wilgers Herz zudem besonders am erstklassigen Angebot der Fleisch- und Wurstwaren, die von handverlesenen Metzgern stammen. Klar, vieles sei dann auch etwas teurer, sagt Elisabeth Wilger. Aber: „Besondere Lebensmittel muss man auch zu besonderen Preisen lassen, sonst leidet die Qualität.“ Seit Jahren schon gibt es zum Beispiel das Angebot über Färsen-Fleisch vom Münsterländer Weiderind aus kontrollierten Familienbetrieben mit nachhaltiger Aufzucht. Das Fleisch reift mindestens drei Wochen in speziellen Rindfleisch-Reiferäumen und ist laut Hubert Wilger unglaublich zart. Doch Genießer wüssten eben auch um den Wert solcher Delikatessen und vor allem junge Leute legten immer mehr Wert auf gutes Essen, weiß Elisabeth Wilger: „Nicht mehr so oft Fleisch, dafür aber ein richtig gutes Stückchen“, sei die Devise vieler jüngerer Kunden.

 

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Da kann die eigene Küche gerne kalt bleiben.

Wobei sie aber keine Apostel seien, wirft ihr Ehemann ein und erzählt grinsend von der fast vegan lebenden Tochter Maria. Man müsse den Menschen die Freiheit lassen, selbst zu entscheiden. Und das Rezept scheint aufzugehen, spielen doch beide Söhne Heiner und Bernd mit dem Gedanken, ins Familienunternehmen einzusteigen.

Ob Maria Wilger, Jahrgang 1915, sich wohl je hätte träumen lassen, dass das Vermächtnis ihres kleinen Milchhandels bis ins 21. Jahrhundert bestehen würde – als Tante-Emma-Laden auf tausenden Quadratmetern? Es muss nur mindestens einer mit ganzem Herzen dahinter stehen.

Weitere Eindrücke

H. Wilger GmbH
Boumannstraße 6
46325 Borken

Telefon: +49 (0)28 61 – 90 50 0
Fax:         +49 (0)28 61 – 90 50 99

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Text/Fotos: Miriam Lethmate

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