Inmitten der Münsterländer Parklandschaft, umgeben von Feldern, Wäldern und kleinen Höfen, finde ich den Gasthof Mersbäumer in Ostbevern. Von Münster aus fährt man die B51 etwa 20 Kilometer Richtung Osten und kann dann direkt auf den großen Parkplatz abbiegen. Ein langgestrecktes rotes Backsteingebäude ist sofort im Blickfeld jedes Gastes: Die restaurierte Fachwerk-Scheune weist den Weg in Richtung Haupthaus mit Restaurant und Hotel.
Die Scheune ist ein Sinnbild für Tradition und Moderne, ist doch das Dach großflächig mit Solarmodulen ausgestattet, während man unten Rosenranken und Fachwerk sieht, zudem als charmante Note das historische Dachgebälk im Innern. Ich gehe durch das Scheunentor in Richtung des zweiten Backsteingebäudes und werde dort vom Chef empfangen.
Michael Mersbäumer bittet mich ins Halstenbeckzimmer, das die Atmosphäre des Schankraums fortführt – Holz, bodenständige Deko und Wild. Ein mächtiges Hirsch-Geweih bewacht eine feine Wein- und Spirituosenauswahl, beim anschließenden Rundgang begegnen mir noch einige Rehbockgeweihe, ein Auerhahn und ein imposanter Wildschweinkopf, der seit 1956 seinen wohlwollenden Blick über die Restaurant-Gäste schweifen lässt.
Doch erstmal erzählt mir der Chef bei einem Cappuccino von den Anfängen seines Gasthofes, der in diesem Jahr 160. Geburtstag feiern darf. In sechster Generation führen er und seine Ehefrau Susanne den Betrieb. Auch sie hat ihre Kinderjahre in Greven sozusagen in der Gastronomie verbracht und managt als gelernte Rechtsanwalts- und Notars-Fachangestellte zudem die gesamte Verwaltung des Betriebes, zu dem mittlerweile Restaurant, Hotel und Partyservice zählen.
Das hätte sich Gerhard Heinrich Mersbäumer aus Beelen wohl nicht träumen lassen, als er 1858 heiratete. Seine erste Frau legte den Grundstein für die generationenlange Tradition: Catharina Bussmann war die Besitzerin des Pferdekottens mit Ausschank an der Loburg in Ostbevern, wo die Gaststätte auch heute noch steht.
Nach ihrem Tod übernahm der Ehemann den Gasthof und bekam mit seiner zweiten Frau den ersten Stammhalter. So wuchs der Mersbäumer′sche Gasthof-Stammbaum, denn aus jeder Generation übernahm ein Sohn den Familienbetrieb. Michael Mersbäumer könnte diese Tradition besonders ehren, schließlich ist es sein Sohn, der zurzeit im bekannten Hotel Krautkrämer in Hiltrup ein Praktikum in der Küche absolviert und vielleicht mal die Zügel übernehmen wird.
Über eine Nachfolge denkt Mersbäumer mit 47 Jahren aber natürlich noch nicht wirklich nach: „Für mich war es auch nie eine Frage, den Betrieb zu verlassen. Ich habe sozusagen von der Wiege aus alles mitbekommen. Wenn man so etwas nicht mit dem Herzen macht, macht es keinen Sinn“, sagt der ausgebildete Koch. Übrigens bezeichnet er seine Mutter als seine Mentorin, was ich wirklich entzückend finde.

Am Rockzipfel hat Mersbäumer aber wahrlich nicht gehangen. Bevor er den elterlichen Betrieb übernahm, lernte der Ostbeverner Paohlbürger, wie er sich selber lächelnd bezeichnet, in seinen Lehr- und Wanderjahren die Welt kennen. Während Mersbäumer beeindruckt erzählt, welch tolle Miniatur-Kunstwerke beispielsweise chinesische Köche aus Möhren oder Butter erschaffen, kommen wir auf ein spannendes Thema, das erstmal nichts mit der Küche im herkömmlichen Sinne zu tun hat.

Es zeigt aber, wie Einfallsreichtum und Nischendenken zu etwas Besonderem führen können. Winzige chinesische Butterrosen in Ehren, aber Mersbäumers Kunstwerke in der Schweiz gewannen eiskalt an Größe.
Dort lernte er eine besondere Fertigkeit: Seit mittlerweile 25 Jahren zaubert der Koch aus massiven Eisblöcken filigrane Figuren, Zahlen oder Embleme, was besonders bei Winter-Hochzeiten ein Highlight ist. „Das sind schon einzigartige Hingucker“, sagt Mersbäumer, der mittlerweile deutschlandweite Anfragen für seine Eis-Skulpturen erhält. Die Unikate halten rund 15 Stunden bei 25 Grad Raumtemperatur, überstehen also eine komplette Feier.
Und diese Feiern, große und kleine Feste, sind mittlerweile das Hauptstandbein des Familienbetriebes, zu dem konsequenterweise auch ein Partyservice gehört.
„Die westfälische Küche ist der Anker unserer Speisekarte, da sind wir verwurzelt“, sagt Mersbäumer. Am liebsten verwendet er Produkte aus nahe gelegenen landwirtschaftlichen Betrieben, was mit Blick auf saisonale Lebensmittel nicht immer einfach sei. Da er aber die meisten Rezepte mit seinen Kollegen immer weiter entwickelt, schafft das Team die so wichtige Gratwanderung zwischen Althergebrachtem und den sich wandelnden Erwartungen der Gäste.
„Die Gerichte müssen immer einen kleinen Pfiff haben, sie müssen abwechslungsreich und überraschend sein. Aber eins ist auch ganz klar: Handwerklich gekonnt zubereitetes Essen zieht die Menschen an.“
Vor 30 Jahren hätten die meisten Münsterländer nach Kopfsalat und Blumenkohl eine Grenze gezogen und kaum mehr Gemüse auf ihren Teller gelassen. Heute seien nicht nur die Jüngeren sehr aufgeschlossen, freut sich der zweifache Vater. Besonders im Frühling nutzt Mersbäumer daher gerne die heimischen Produkte für spannende Kreationen: Spargel aus Füchtorf, Rhabarber, Erdbeeren und Blaubeeren oder Tomaten von Landwirten aus Ostbevern. Und dann ist da natürlich noch die Kartoffel.
Obwohl, die Kartoffel gibt es ja eben nicht, wie ich lerne. Mersbäumer schöpft aus einem reichen Repertoire von mehr als 20 Sorten, darunter auch viele alte Züchtungen wie der Blaue Schwede oder das Bamberger Hörnchen. Jede Sorte habe ihren ganz eigenen Geschmack.
Genau wie bei Tomaten müsse man eben nur die immer gleichen Produkte aus dem Supermarkt durch ursprünglich erzeugte, bevorzugt regionale Sorten ersetzen, um einen Riesenunterschied zu schmecken, empfiehlt Michael Mersbäumer.
Beim Gespräch über die westfälische Küche kommen wir unweigerlich auf das Thema Wild. Auch hier geht es um handwerkliches Können, denn der 47-Jährige ist selber Jäger und beherrscht das Zerlegen der Tiere wie Rehe oder Wildschweine, die natürlich aus dem angrenzenden Revier stammen.
Perfekt in Szene gesetzt, beleuchtet und garniert werden diese Ergebnisse der Jagd dann auch bei hauseigenen Food-Foto-Workshops, die laut Mersbäumer sehr beliebt sind, da das Hobby-Kochen heute bei vielen Leuten hoch im Kurs stehe. Abgerundet wird die Angebotspalette mit Weinseminaren, Kochkursen oder einer Hochzeitsmesse, wobei sich auch die Azubis gerne kreativ austoben dürfen.
„Neue Ideen sind immer wichtig und wir haben teilweise junge Leute im Team, die so etwas einfach aus dem Ärmel schütteln“, freut sich Mersbäumer, der mit den Aushilfen rund 50 Mitarbeiter beschäftigt.
Und gibt es bei all der Hektik und der großen Verantwortung für sein Unternehmen denn auch mal die Möglichkeit, die ländliche Ruhe selber zu genießen? „Selten“, sagt der 47-Jährige lachend, doch er weiß auch um die Bedeutung kleiner Auszeiten. Heiligabend beispielsweise ist so ein Highlight, das völlig im Zeichen der Familie steht. Nach solch einer Erholungsphase kribbelt es Michael Mersbäumer aber meist schnell wieder in den Fingern – in allen Pausen kommen kreative Köpfe ja auf die besten Ideen.
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