
Im Schlaf sieht das Ferkel aus, als würde es lächeln. Während es eng an seine Artgenossen gekuschelt im dicken Stroh liegt, zuckt kurz sein Ringelschwanz. Von der Futterstelle klingen Grunzen und Schmatzen ist den schönsten Tönen herüber, doch das Schweinchen döst unbeeindruckt weiter. Ich hingegen bin beeindruckt, wie sehr das Wort „artgerecht“ – sonst leider oft verwässert oder missbraucht – hier auf dem Hof May Ameke lebendig ist.
Auch hier steht am Ende des Lebens der Tiere deren Schlachtung, allerdings soll dieses Leben eben gut gewesen sein. Das ist ein absolutes Herzensanliegen von Simona und Carl-Hendrik May, die den Familienbetrieb in Drensteinfurt-Ameke 2011 übernommen und 2021 auf Vollerwerb umgestellt haben.

„Die Unversehrtheit der Schweine steht hier im Mittelpunkt. Sie sollen bis zur letzten Sekunde keinem Stress ausgesetzt sein“, sagt Landwirt und Agrarökonom Carl-Hendrik May. Die Schweinehaltung auf Spalten, auf Beton, bei der die Tiere direkt über ihrer Gülle stehen und keine Beschäftigung haben, außerdem kastriert und ohne Ringelschwanz gehalten werden, hat das Paar irgendwann nicht mehr tragen können.

Das Gewissen hat hier also Gewohntes in Frage gestellt und nach intensiver Beantwortung aller Fragen kam die Familie zu nur einem Ergebnis: Betriebsumstellung auf Strohstallhaltung. Dass diese kleinen Worte nicht nur viel Arbeit, schlaflose Nächte und maßgeschneiderte Kalkulationen beinhalten, wird klar, wenn man die Mays in ihrem neuen Stall sieht. Beide strahlen. „Wir sind absolut überzeugt von unserem ganzheitlichen Konzept und bekommen auch total viel positive Rückmeldungen von unseren Kunden“, sagt Carl-Hendrik May.

Bereits 2020 hatten sie den ersten Strohstall fertig, jetzt im September 2022 folgte die Einweihung des 2200 Quadratmeter großen Herzstücks des Betriebes. Hell, luftig, riesig: Der neu gebaute Strohstall sorgt dafür, dass nun alle Ferkel, Sauen und Eber in Haltungsform 4 der Initiative Tierwohl leben können. Das bedeutet eigentlich 1,5 Quadratmeter Platz pro Tier, was schon 100 Prozent mehr sind, als gesetzlich vorgeschrieben.
Allerdings ist der große Stall nach Biorichtlinien gebaut: Jedes der 800 Schweine hat hier sogar zwei Quadratmeter Platz. Um sich zu suhlen, im Stroh zu wühlen, mit den anderen zu Tieren zu spielen, zur Futterstelle zu gehen oder eben einfach rumzuliegen. Alle Liegebereiche sind sogar mit einer Fußbodenheizung ausgestattet.


Um alles genau beobachten zu können, nehmen die Mays mich mit in den späteren Besucherraum. Ich hatte nämlich das Privileg, noch vor der Stalleinweihung Anfang September einen Blick hinter die Kulissen werfen zu dürfen. Hier oben gibt eine große Glasfront den Blick auf den gesamten Stall frei. Den Raum können und sollen Besucher nutzen – Transparenz im besten Sinne. Schulklassen, Kindergeburtstage, Seminare an ungewöhnlichen Orten. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Von hier oben sieht man schön, wie indirektes Sonnenlicht durch alle Außenwände scheint. Es wurde viel mit Holz gearbeitet und bewegliche Nestabdeckungen sorgen für die Steuerung der Wärmezufuhr. Und es wird noch innovativer: Zwischen den Stallbereichen in den so genannten Buchtentrennwänden sind Hochbeete angebracht.
Ja, richtig gelesen. Thymian, Weinreben, Tomaten, Sonnenblumen und sogar Hopfen gedeihen im guten Klima des Stalls und tragen gleichzeitig zu eben jenem bei. „Wir wollten den Wohlfühlfaktor im Stall noch etwas aufwerten. Die Idee stammt aus den Niederlanden. Ich wüsste nicht, dass es im Münsterland noch einen weiteren begrünten Schweinestall gibt“, sagt Carl-Hendrik May lachend. Das ganzheitliche Konzept ist hier wirklich bis ins kleinste Detail durchdacht.


Die Idee, Althergebrachtes zu verbessern und die Schweinehaltung neu aufzustellen, kam übrigens von den Hühnern. Denn auf dem Hof leben auch noch 3000 gefiederte Freunde. Und denen ging es seit 2018 in ihren Mobilställen so gut, dass Ähnliches einfach für die Schweine her sollte.
Aber wisst ihr was: Schon bei der Hofbesichtigung habe ich so viel Spannendes gesehen und gehört, dass ich tatsächlich nicht alles in einen Beitrag stecken wollte. Über die Freilandhühner lest ihr also im nächsten Text. Jetzt muss ich nämlich erstmal von den Ringelschwänzchen erzählen.
Genau diese besitzen die Tiere in der konventionellen Schweinehaltung nämlich nicht. In den engen Ställen, begünstigt durch die Monotonie, kriegen sich die Schweine schnell in die Wolle und so ein an- oder abgebissener Schwanz kann schnell ein ernsthaftes Gesundheitsproblem bedeuten.

„Aber da zeigt sich doch, dass wir dringend wieder den Bezug zum Tier brauchen. Der Ringelschwanz ist für die Schweine ein wichtiges Sinnesorgan. Oder ein anderes Beispiel: Bis in die 70er Jahre war es normal, dass Schweine auf Stroh gehalten wurden“, erklärt Agrarwissenschaftlerin Simona May. „In diesen geschlossenen Ställen, wo die Tiere keine Ablenkung und keinen Platz haben, kommt es zum Schwanzbeißen. Wenn Schweine unter Monotonie leiden, sind sie nicht mehr stressresistent. Aber hier langweilt sich kein Tier.“
Ja, es ist den Mays eine wahre Herzensangelegenheit. Ihr Umgang mit den Tieren ist entspannt, ruhig, freundlich.
Während wir im Stall einen Blick auf die Weinreben werfen, schallt aus dem Ferkelbereich plötzlich triumphales Quieken. Da war wohl ein Zweibeiner nicht fix genug und die Jungtiere haben ihre Chance zum kurzzeitigen kompletten Freigang erkannt: Der Schweinsgalopp ist nicht nur eine Redewendung. Mit wehenden Ohren und aufgestellten Schwänzchen drehen die fünf Ferkel eine Runde durch den Stall. Simona May und Azubi Sophie Wortmann setzen dem Kurztrip lachend ein Ende.

Auch ich muss mich langsam von den niedlichen Gesellen losreißen und noch einen Blick in den Hofladen und das Café werfen. Ganzheitlich bedeutet hier nämlich auch eine eigene, handwerkliche Wurst- und Fleischproduktion. Ein ortsansässiger Metzgermeister stellt seit einigen Monaten die Produkte am Hof May her. Im Winter wird das System mit der hofeigenen Schlachterei dann komplett geschlossen. Der stressige Transportweg, der zurzeit auch nur wenige Kilometer beträgt und den die Mays selber fahren, fällt dann ganz weg.





Die Kunden wissen dies alles zu schätzen. Besonders der 24-Stunden-Automat mit frischen Fleisch- und Wurstwaren findet in den Sommermonaten regen Zulauf. Das Wissen um Herkunft und Haltung der Tiere und schlussendlich um die Herstellung der hochwertigen Produkte macht eben doch einen großen Unterschied beim Genuss.
Öffnungszeiten Hofladen: Fr., 13-17 Uhr; Sa., 8-12 Uhr; So., 14-16 Uhr
Öffnungszeiten Hofcafé: Sonntagsfrühstück nach Anmeldung: 9 bis 12 Uhr; Kaffee und Kuchen So., 13 bis 17 Uhr.
Weitere Veranstaltungen wie Familienfeiern nach Vereinbarung.







Text und Fotos: Miriam Lethmate