Brauhaus Stephanus

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Absoluter Hingucker: der eindrucksvolle Flaschenhimmel.

Der Legende nach begann alles mit einem zündenden Gedanken, mit einer Inspiration, als Stephan Rulle Ende der 80er in einer urigen kleinen Gasthausbrauerei in Eltville am Rhein einkehrte. Dieses idyllische Plätzchen beeindruckte ihn so sehr, dass er nur eine Woche nach seinem Aufenthalt nach Eltville zurückkehrte, in Begleitung seines Bruders Matthias. Und der Funke sprang sofort über: Auch Matthias Rulle war begeistert von der Idee, Kneipe, Restaurant und Brauerei an nur einem Ort zum Leben zu erwecken.

Dieser Ort war „die ehemalige Kneipe von Onkel Paul“, erinnert sich Geschäftsführer Matthias Rulle lächelnd. Zuhause in Coesfeld am Overhagenweg, nur einen Steinwurf vom Elternhaus entfernt, dort begannen die Brüder ein Abenteuer, das nun schon 27 Jahre währt.

Wagemut gehörte anfangs dazu: Matthias Rulle arbeitete als Großhandelskaufmann, Stephan Rulle leitete eine erfolgreiche Fleischerei samt Partyservice in Münster – warum also etwas völlig Neues beginnen? So ist das eben mit Herzenswünschen, irgendwann muss man versuchen, sie zu verwirklichen. Also liehen sich die Brüder 1,5 Millionen DM für eine Brauanlage und starteten das Projekt „erste Gasthausbrauerei im Münsterland“. Findig mussten sie sein. Für 700 Mark verkauften sie während des Umbaus der alten Kneipe Anteilscheine an Gäste. 200 dieser Zertifikate gingen über die damals noch unfertige Theke, bis heute sind es rund 400. Schließlich winken jährlich Zinsen über zehn Liter Bier und die Einladung zum Zertifikatsfest im Oktober.

„Wo gibt′s denn heut noch Zinsen?“, fragt Matthias Rulle grinsend und gibt einen Fingerzeig auf das gute Konzept der Gebrüder Rulle: den Gast mitnehmen und in den Mittelpunkt stellen, Überraschungen parat halten und stets Qualität liefern, nicht zu vergessen die gute Münsterländer Bodenständigkeit und Gradlinigkeit. Es entwickelte sich zum Erfolgsrezept.

Gemeinsam blicken die Brüder auf ihre Anfangszeit, erzählen vom Vertrauen, das sie ineinander gesetzt haben. Stephan Rulle ist der ältere Bruder. Entspannt sitzt der 60-Jährige an der Theke des großen Schankraums mit den zwei kupfernen Läuterbottichen, nichts scheint ihn aus der Ruhe bringen zu können. Der gelernte Fleischermeister wirkt wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung.

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Seit 57 Jahren Brüder, seit 27 Jahren auch Geschäftspartner: Matthias (l.) und Stephan Rulle. Foto: Maren Kuiter

Sein drei Jahre jüngerer Bruder Matthias nimmt gerade eine Lieferung entgegen, begrüßt gleichzeitig einen Stammgast und versucht, das Klingeln des Handys kurz zu ignorieren. Denn ausgerechnet heute hat eine Pumpe schlapp gemacht, für deren Ersatz Matthias Rulle sorgen muss, weil: „Ohne Bier wär′s schlecht.“ Wahrscheinlich ist es wie so oft das Gegensätzliche, das die Brüder zu einem so guten Team hat wachsen lassen. Und dann noch etwas Essentielles, über dessen Erwähnung ich mich besonders freue, vor allem im Münsterland: „Wir schnacken einfach viel zusammen. Man muss über alles reden können“, bringt es Matthias Rulle auf den Punkt.

Und so wurde aus der Idee, etwas Besonderes im Münsterland aufzubauen, über die Jahre das „tanzende, singende Brauhaus. Ein Treffpunkt fröhlicher Menschen“, wie es die Brüder nennen. Die Partys freitags und samstags sind gesetzt, ebenso wie zahlreiche nette und auch verrückte Termine über das komplette Jahr.

Da rollen im Herbst nostalgische Trecker gen Brauhaus, ebenso beliebt ist das Oldtimer-Treffen im Frühling oder das i-Männchen-Buffet zur Einschulung. Anfang Oktober bitten die Inhaber zum Einheitstanz, im Winter zum Doppelbock-Anstich oder Nikolausstiefel-Trinken und am 26. Dezember – Ehrensache! – zum Stephanus-Steinigen. Stets dabei: westfälische Leckerbissen und das handgemachte Stephanus-Bräu, Herzstück des Unternehmens.

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Lieber das Original oder doch den Ur-Typ? Foto: mynetworx.eu

Der erste Braumeister Dieter-Wilhelm Weischer entwickelte die einzigartige Rezeptur für das untergärige Bier, dessen Namensgeber selbstverständlich Stephan Rulle war. Wenn man schon sein ureigenes Bier kreiert, dann sollte man auch Pate sein. Zum süffigen Stephanus Bräu Original gesellten sich über die Jahre weitere Sorten hinzu. Das Coesfelder Ur-Typ, der Frühlingsbock und der Winterdoppelbock.

Mittlerweile ist Bierbrauer Lambert Albermann der Herr über Malzlager und -mühle, wo das Malz frisch geschrotet wird, sowie natürlich über die drei Gärbottiche im Keller des Brauhauses. Fünf bis sieben Tage nimmt die Hauptgärung in Anspruch, deren Besonderheit es ist, dass sie offen stattfindet. „Wir wollen ja der Hefe keinen Stress machen“, erklärt Lambert Albermann augenzwinkernd. Sprich: keinen Druck aufs Bier ausüben.

Bei zehn Grad Celsius werden so zwei bis drei Sude pro Woche angesetzt, übers Jahr verteilt werden im Brauhaus rund 1800 Hektoliter Bier hergestellt. Nach der Hauptgärung kommen die Spezialitäten zwischen fünf und dreizehn Wochen in die 18 Lagertanks, rund 3500 Liter gehen wöchentlich in den Ausschank.

Was das Stephanus Bräu zu einer Ausnahme macht, ist der Verzicht auf eine Filtration – das Mindesthaltbarkeitsdatum beträgt ab Abfüllung 14 Tage. „Am besten, es geht direkt über die Theke. Unser Bier ist eben ein besonderes Frischeprodukt“, sagt Stephan Rulle. Und Lambert Albermann ergänzt: „Unser Bier ist nicht nur vollkommen regional, sondern man genießt hier etwas in der Tradition, wie es vielleicht vor 80, 90 Jahren getrunken wurde.“

Nicht umsonst ist es mit dem Münsterland-Siegel ausgezeichnet. Und dieses tummelt sich quasi in der Getränkekarte, was das Engagement der Brüder Rulle wiederspiegelt. Ob Fruchtsäfte von Bio-Pur/Haus Hall, Mineralwasser von Gesaris oder Feinbrände von Sasse – das Siegel zeichnet die meisten Getränke auf der Brauhaus-Karte aus. Ein feiner Zug nebenbei: Das alkoholfreie Bier und Weizen stammt von der Pott’s Brauerei, ebenfalls Mitglied im Siegel-Netzwerk.

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Stephan und Matthias Rulle mit ihren Ehefrauen und Kindern. Foto: mynetworx.eu/Colin Orel

Auch in der Brauhaus-Küche gilt die Devise: kurze Transportwege, Unterstützung der örtlichen Landwirte, Transparenz durch gesicherte Herkunft. Das Hühner-, Rinder- und Schweinefleisch stammt meist von Bauernhöfen aus den Nachbarschaft, die die Tiere auch mit hofeigenem Futter versorgen, saisonales Gemüse aus dem Kreis Coesfeld, die Heimatbrote von der Bäckerei Geiping aus Lüdinghausen, denn die Mutter ist eine geborene Geiping.

„Die Nudeln für unsere Münsterländer Pasta holen wir von Althues in Rosendahl. Wieso soll ich italienische Nudeln kaufen, wenn es ein paar Kilometer entfernt so tolle Sachen gibt?“, fragt Matthias Rulle.

Diese tollen Sachen darf der Gast dann in gemütlichem, rustikalem Ambiente genießen. In der Braustube sind die glänzenden Braukessel und die Malzsäcke der Blickfang, aber es sind auch Kleinigkeiten, die das Augenmerk auf sich ziehen.

Allerlei Zierwerk wie Retro-Werbeschilder, ein waschechter Sparschrank, das imposante Porträt von Großonkel Wilhelm Rulle, 1897 bis 1934 Brauereidirektor in Paderborn, eine Holzstatue von Gambrinus, Schutzheiliger der Braukunst und… Flaschen. Flaschen, wohin das Auge reicht, lässt man den Blick denn nach oben schweifen. Unzählige Bügelverschlussflaschen mit Stephanus Bräu zieren die hohen Regalborde in der Braustube, doch es wird noch besser.

Matthias Rulle führt mich in die Malztenne und nach wenigen Schritten weiß ich nicht genau, ob ich jetzt eher einen Petticoat oder doch eine bestickte Schürze mit langem Leinenrock anziehen sollte. Der nostalgische Raum besteht nämlich aus einer irrwitzigen Mischung von 1950er-Charme und historischem Ambiente des 19. Jahrhunderts. Original erhaltene Eichenbalken aus dem Jahr 1891 zierten schon damals die Bauerntenne im Elternhaus des früheren Kneipenbesitzer Paul Herbstmann. Wagenräder und unverputzter Backstein runden das Bild ab.

Und dann guckt man hoch zum Speicher und sieht – alte Motorräder. Eigene Maschinen von Stephan und Matthias Rulle, Leihgaben von Stammgästen, fein aneinandergereiht und poliert. Eine Etage tiefer zum Thema korrespondierend: Vinyl-Schätzchen und ein historisch anmutender Plattenspieler. Ja, hier kann man mit Sicherheit richtig gut feiern!

Aber der Clou am ganzen Raum ist eindeutig der eindrucksvolle Flaschenhimmel. In saftigem Grün, warmem Braun und sattem Gelb leuchten über 100 Bierflaschen, die per Glühbirne zu perfekten Strahlern umgewandelt wurden. Nettes Detail: Hier leuchten nur Flaschen von guten Kollegen, befreundeten Brauereien.

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Offensichtliche Verbundenheit: Von der Hotel-Rezeption aus hat man einen schönen Blick in die Malztenne.
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Hier regiert die Dame des Hauses: Anette und Matthias Rulle in der Rezeption.

Über die Frühstücksterrasse, gesäumt von einem großzügigen Spielplatz, geht es weiter. Es öffnet sich die Tür zu einem weiteren Schmuckkästchen, dem ersten Brauhaus-Hotel Westfalens. Ja, auch in diesem Bereich sind die Gebrüder Rulle Pioniere. Oder nein, stimmt nicht ganz, denn im Hotel schwingt Matthias’ Ehefrau Anette Rulle seit der Eröffnung 2011 das Zepter.

Die Hotelfachfrau koordiniert das Haus mit 34 Zimmern, in denen wieder die liebevollen Details auffallen, die natürlich einen Bezug zum Brauhaus haben. Im 3-Sterne-Hotel werden oft und gerne Baumberge-Radtouristen beherbergt…und im Schankraum hängt unter der Decke ein Rennrad mit einem Stephanus Bräu im Flaschenhalter.

Über den – 2,10 Meter langen – Betten der komplett barrierefreien Zimmer prangen Bilder aus den Werkstätten Haus Hall in Coesfeld. Diese stellen nicht nur mit dem Münsterland-Siegel ausgezeichnete Bio-Pur-Säfte, -Konfitüren und -Liköre her. Die Menschen mit Behinderung entwerfen auch großformatige Bilder, in denen beispielsweise das Logo vom Brauhaus eingearbeitet ist.

Es sind eben auch die kleinen Dinge, die den Gast mitnehmen und überraschen, so dass man sich bei Familie Rulle stets willkommen fühlt. Auch mir geht es so. Obwohl Matthias Rulles Handy gefühlt alle fünf Minuten klingelt, führt er mich konzentriert  durch das Rulle-Reich. Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass die große Familie – es gibt noch Kinder, die auch das Hotelfach lernen, zwei Brüder und zwei Schwestern – sich nicht nur an Feiertagen gerne im Brauhaus zusammenfindet.

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Rustikal und gemütlich ist es im “tanzenden, singenden Brauhaus”. Und Gambrinus (r.) wacht über die Gäste.

„Das ist hier unser Wohnzimmer. Es ist immer jemand für die Familie da, es ist immer offen“, beschreibt Matthias Rulle, der übrigens gerade für seine Geduld und sein Organisationstalent belohnt wird. Am Handy ist ein Zulieferer – es gibt eine neue Pumpe. In Essen. Matthias Rulle verabschiedet sich prompt, aber herzlich. Ganz genau so, wie man es von einem Münsterländer Original erwartet.

Was Regionalität und Nachhaltigkeit für das Unternehmen bedeuten, lest ihr hier.

Brauhaus Stephanus
Stephan & Matthias Rulle oHG
Overhagenweg 1
48653 Coesfeld

Telefon: +49 (0)25 41 – 92 24 80

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Text/Fotos (bis auf anders angegebene): Miriam Lethmate

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