
Wuchsen früher in jedem Haus- und Bauerngärtchen Bohnen, Rote Bete, Tomaten, Radieschen oder Stielmus, erkennen heute die meisten Menschen zwar das Gemüse, jedoch nicht unbedingt die Pflanzen, deren Blätter oder Blüten. Ich gestehe, da keine rühmliche Ausnahme zu sein. Was für eine gute Gelegenheit also, ganz genau hinzusehen, als ich Josef Willenbrinks Einladung in die Gärtnerei Brüggenthies in Wadersloh folge. Der leidenschaftliche Koch führt seit den 90er Jahren mit seiner Frau Gabriele den Gasthof Willenbrink in Lippetal-Lippborg, der sich seit über 230 Jahren im Familienbesitz befindet!
Auf dem Markt in Beckum sind sich Josef Willenbrink und Tobias Brüggenthies erstmals über den Weg gelaufen. Der Koch ist schon mehrere Jahre Stammkunde und verlässt Tobias’ Marktstand nie ohne viel frisches Obst und Gemüse aus der Nachbarschaft. Früher habe er sich die meisten Produkte für seine Küche liefern lassen, doch irgendwann setzte das Umdenken ein, erzählt Josef, während wir es uns mit einer leckeren, selbstgemachten Limo vor dem Hauptgebäude der Gärtnerei Brüggenthies gemütlich machen.
Selber die besten Waren auszusuchen, sich mit den Landwirten und Gärtnern auszutauschen, dabei neue Ideen zu entwickeln – da müsse man halt ein wenig mehr Zeit in die Logistik investieren, profitiere dann aber von den Vorteilen des direkten Kontakts, betont der 64-Jährige.

Im September, als ich zu Gast bin, recken sich die Stangenbohnen erntereif in den blauen Himmel, die Tomatenpflanzen biegen sich unter ihren fein duftenden Früchten. Als ich im stillen, warmen Gewächshaus stehe und die winzigen gelben Blüten der Tomaten genauer betrachte, erinnern sie mich an eine Ballerina im Spitzentanz, deren Arme sich zum Himmel bewegen. Diese schönen kleinen Momente, in denen man der Natur wirklich Raum und Ruhe geben kann, erlebe ich während der Besuche bei Betrieben im Münsterland immer wieder.

Josef und Tobias schwärmen ebenfalls von Natur pur: ein Frühstück mit Tomaten, die lediglich eine Prise Meersalz und etwas Olivenöl benötigen, um ihren herrlich aromatischen Geschmack zu entfalten. Auf Josefs eigenem Esstisch und in seiner Küche nehmen stets regionale, saisonale Speisen und Zutaten den meisten Platz ein. Dieser Schwerpunkt, den er aus Überzeugung seit Jahrzehnten pflegt und immer wieder neu interpretiert, zeichnet sein Restaurant aus, welches aus diesem Grund das Münsterland-Siegel trägt.
„Schon in meiner Ausbildung in Freiburg habe ich verrückte Ideen umgesetzt und durfte mich ausprobieren. Mein Chef hat das immer unterstützt“, erinnert sich Josef. Von Pastinaken oder Stielmus habe man damals nichts hören wollen – gefragt war, ganz modern, Brokkoli. Seiner Experimentierfreude ist Josef immer treu geblieben und hat sie über die Jahre zur Kunst verfeinert.
Dazu beigetragen hat auch der Lippborger Gartenstammtisch, von 1999 bis zur letzten Veranstaltung im September 2023 beheimatet im Gasthof Willenbrink und besucht von zeitweise 140 Gästen, die sich über das Leben mit und aus dem Garten austauschten. Garniert wurden alle Veranstaltungen mit einem Drei-Gänge-Menü bestehend aus jahreszeitlich passenden Zutaten. Die Idee zu diesem Format stammte von Hubertus Albersmeier, der Lippetaler „Gartenpapst“, der damit die regionale Gartenszene miteinander vernetzen wollte.




Die Veranstaltung mit der promovierten Gartenbau-Ingenieurin Dr. Heidi Lorey ist Josef in besonders schöner Erinnerung: „Wir haben viel über alte Sorten erfahren und wie man sie erhalten kann. Nutzpflanzen können genauso kreativ angebaut werden wie Zierpflanzen, das war sehr spannend.“
Ja, Gemüse hat schließlich auch wunderhübsche Blüten, ebenso wie sich die Verwendung von Blüten der Ringelblume, Dahlie oder Malve schon längst bis zu allen Hobbyköchinnen und -köchen herumgesprochen hat. Inspiration erhielten Josef und Tobias durch Heidi Loreys Erzählungen über die Gartenmelde – zu Unrecht als Unkraut bekannt.
„Für uns gibt es kein Unkraut, nur Wildkraut“, sagt Tobias Brüggenthies lachend und zeigt mir die Stelle, an der die Rote Gartenmelde auf Josefs Anfrage hin angebaut wurde. Dieses alte Saatgut besorgt der Gärtner gerne für den Koch und gemeinsam schmieden sie Pläne für die Verwendung der jeweiligen Pflanzen.
Mit ihren pinkroten, glänzenden Blättern hätte ich die Gartenmelde jedenfalls nicht als „Unkraut“ eingeschätzt und freue mich daher zu erfahren, dass bereits die alten Griechen die Melde auch als Heilpflanze verwendeten. Zubereitet wird sie übrigens wie Spinat. Junge Blattspitzen können in Salaten als farbliche und geschmackliche Zusatzkomponente eingesetzt werden. Weitere Produkte der Zusammenarbeit von Koch und Gärtner sind der Blatt-Amaranth und die meterlangen Stauden von Stangenbohnen, u.a. die lila Kiebitzbohne.




Da musste Josef schon sehr schmunzeln, als er Monate nach dem Besuch von Heidi Lorey nochmals zu deren Buch griff und die Widmung entdeckte: „Jeder gute Koch braucht einen guten Gärtner!“. Diese Empfehlung hatte Josef ja schon längst erfolgreich mit Leben gefüllt. Nicht nur in seiner Küche, sondern auch an Tobias’ Marktstand sind die alten Sorten gefragt, vor allem in Kombination mit Rezepten.
„Wenn etwas Neues dabei ist, wie zum Beispiel die Ochsenherzkarotten oder der Amaranth, dann gebe ich immer ein Rezept mit raus“, sagt Tobias Brüggenthies. Josef schwärmt von der feinen Süße dieser alten Karottensorte, die zudem leicht würzig wie eine Pastinake schmecke. Kombinieren könne man sie perfekt mit einer Kohlrabicreme oder Kartoffel-Lauch-Gemüse.




„Bei Tobias bekomme ich Gemüse, das es woanders so nicht gibt. Hast du zum Beispiel diese tollen Himbeertomaten vorhin gesehen?“, fragt Josef. Es gibt, sagt der erfahrene Koch, ein paar geschmackliche Leitplanken, an die man sich halten muss, wie das Blanchieren, Karamellisieren oder Anschwenken mit Zwiebeln und Butter. Dann kann man aus jedem Gemüse der Saison köstlichste Gerichte zubereiten. „Rosenkohl, Weiß- oder Rotkohl sind doch im Winter herrlich. Stell dir mal vor, stattdessen isst du dann Spargel aus Südamerika, der fällt doch auch geschmacklich komplett hinten rüber!“





Mit seinem Wissen und vielen neuen Ideen geht Josef auch in Schulen und Kitas. Dort schält, stampft, schneidet und kocht er mit den Kindern, die nebenbei spielerisch lernen, dass Kohlsorten sehr gesund sind, Stichwort Vitamin C, oder dass man von Pellkartoffeln auch die Schale essen kann – und sie im Übrigen selbst gemacht am allerbesten schmecken.
„Dann haben wir Soulfood im wahrsten Sinne des Wortes“, sagt Josef. Und das liegt nicht nur an den köstlichen Kreationen auf den Tellern, sondern auch am Enthusiasmus und Können des sympathischen Kochs.
Text und Fotos: Miriam Lethmate