Dort zu arbeiten, wo eine der leckersten Süßspeisen überhaupt zubereitet wird – traumhaft. Wenn man auch noch ganz offiziell dorthin gehen soll und bitte nicht zur Schule, darf man am Ende dieses Tages getrost einen Punkt auf seiner „Wovon ich schon immer geträumt hab“-Liste streichen. Genau das erlebten Marvin (15), Jonas und Felian (beide 13) beim Boy’s Day in der Eis Lounge Maria Veen in Reken.
Frei von Geschlechterklischees sollen an diesem Tag, den das Bundesfamilienministerium seit 2010 deutschlandweit anbietet, Schüler*innen in Berufe schnuppern, die auf den ersten Blick nicht ganz naheliegend sind. Zum ersten Mal hatte nun die Eis Lounge ihre Türen für diese Veranstaltung geöffnet und gleich drei Jungs durften sich über den Platz fürs Tagespraktikum freuen.
Felian ist schon etwas eher gekommen, da sein Vater beim 400 Meter entfernten Benediktushof arbeitet und der 13-Jährige gerne mal in Papas Berufswelt schauen wollte. Die Eis Lounge ist ein Inklusions-Betrieb der Transfair Montage GmbH, Träger der Eis Lounge ist die Kölner Josefs-Gesellschaft. Ein weiteres Tochterunternehmen der Transfair Montage ist wiederum die Benediktushof gGmbH, eine Ausbildungs-/Arbeitsstätte und Wohnort für Menschen mit Beeinträchtigungen. Zwischen den Betrieben herrscht reger ein Austausch. Bei der inklusiven Arbeit ergänzen sich Menschen mit und ohne Behinderung – jeder nach seinen Fähigkeiten und Vorlieben.
Nebenbei erfahre ich, dass der aus Ahlen stammende Priester Heinrich Sommer die Josefs-Gesellschaft 1904 gegründet hat. Und sein Konterfei prangt auf den Flaschen mit Josefs-Bier, welches es auch (neben vielen nichtalkoholischen Spezialitäten) in der Eis Lounge gibt. Die Josefs-Brauerei in Olsberg ist tatsächlich die europaweit erste behindertengerechte Brauerei.
Aber zurück zum Eis und seinen Zutaten: Während Felian schon Mangos und Maracujas geschnibbelt hat und gerade lernt, wie man eine Orange am besten zerteilt, ohne seine Hände komplett zu baden, trudeln Jonas von der Theodor-Heuss-Realschule und Marvin von der Brückenschule aus Maria Veen ein. Die beiden werden herzlich von Sandra Niewerth begrüßt. Die stellvertretende Betriebsleiterin gibt einen kurzen Überblick über die Eisdiele der besonderen Art, reicht den Jungs die Eis Lounge-Poloshirts und erinnert vorm gemeinsamen Start: „Die Hygiene ist ganz wichtig. Vor und nach jedem Arbeitsgang müsst ihr euch die Hände waschen.“
Gesagt, getan und los gehtʹs. Allerdings wird um die Eistheke erstmal ein kleiner Bogen gemacht, da anlässlich des ersten Tages der Sommerkarte die Terrasse einen Extra-Schliff erhält. Boden fegen, Tische wischen, eindecken und dekorieren, etwaigen Müll aus den Büschen fischen, dabei natürlich ein bisschen quatschen, um sich kennenzulernen.
Sandra Niewerth und Annika Lambers, die Schulbegleiterin der Förderschule von Marvin, nicken anerkennend, als die große Terrasse für die ersten Gäste bereit ist. Deren Wünsche nimmt erstmal Sandra Niewerths Tochter Lilith entgegen, so dass die Jungs ihren Betriebsrundgang fortsetzen können. Zwei Mitarbeiterinnen bereiten in der Küche Waffelteig und Obstsalat vor, gleich werden die Kirschen angedickt. Überall duftet es frisch und fruchtig – obwohl wir dem Eis noch nicht mal nahe gekommen sind.
Doch das ändert sich mit dem Gang hinter die Theke: Zwei prall gefüllte Kartons mit Zitronen warten auf die Jungs. Also, Ärmel hochkrempeln, denn fürs Sorbet wird Zitronensaft benötigt. Die Fruchteisvariationen werden ausschließlich als Sorbet angeboten, das heißt der Fruchtanteil ist um einiges höher als beim „normalen“ Eis. Außerdem wird das Eis aus regionalen Zutaten, immer angepasst an die Saison, hergestellt und ist daher mit dem Münsterland-Siegel ausgezeichnet.
Sorten mit Bezug zur Heimat seien bei den Kunden ohnehin sehr beliebt, erzählt Sandra Niewerth, so gibt es beispielsweise Münsterländer Herrencreme (ohne Alkohol) oder Stippmilch-Eis mit karamellisiertem Pumpernickel. Wie sehr die Saisonalität zur Betriebsphilosophie gehört, zeigt eine große handschriftlich verzierte Tafel am Eingang: Erdbeeren werden nur angeboten, wenn sie frisch vom Feld kommen. In den anderen Jahreszeiten gibt es Erdbeersauce, die aus den frischen Zutaten gefrostet wurde.
Während die drei Jungs ihre Kräfte an der Zitronenpresse messen und behände die zwischendurch wegflutschenden Schalen vom Boden auflesen, berichtet Sandra Niewerth vom hauseigenen Eislabor. Dieses ist am fußläufig erreichbaren Benediktushof angesiedelt und wird von der „Eiskönigin“ regiert. Simone von Kuick ist nämlich nicht nur absolute Expertin, was die Herstellung der kalten Delikatessen angeht, sondern lässt sich auch ungern das Zepter aus der Hand nehmen, wie Sandra Niewerth lächelnd und mit Stolz verrät. Simone von Kuick ist gehörlos und hat die Stille in ihre Kraft verwandelt: Hochkonzentriert, ohne Ablenkung und mit viel Liebe zu Maßeinheiten und Details stellt sie jede einzelne Sorte her.
Diese Gewissenhaftigkeit vereint die Mitarbeiter der Eis Lounge – und die große Liebe zum eigenen Produkt natürlich. „Ich mag woanders gar kein Eis mehr essen“, sagt Sandra Niewerth lachend. Dafür wird täglich an der eigenen Theke genascht. Auf die Frage nach dem Lieblingseis kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: „Joghurt mit Erdbeersauce!“
Die drei jungen Mitarbeiter des heutigen Tages schielen eher in Richtung Schokolade. Ihren abgefüllten Zitronensaft haben sie Lilith Niewerth überreicht und anschließend die Theke gewischt. Gelernt ist gelernt: Arbeitsortwechsel heißt den Arbeitsplatz zu säubern.
Bevor es zur Belohnung ein Schokoeis gibt, wird passenderweise mit Schokolade gearbeitet. Schließlich gehören in Stracciatella und Münsterländer Herrencreme feine Stückchen und die wollen geraspelt werden. Gar nicht so einfach, das große Messer so zu umfassen, dass man sich nicht schneidet, aber großen Druck ausübt. „Ich habe gestern noch ein Tagespraktikum in einer Tischlerei gemacht. Da ist das Schokoladeraspeln schon ok“, sagt Jonas grinsend.
Wäre denn die Gastronomie ein spannender Arbeitsplatz für die drei Achtklässler? Jonas erzählt, dass ihn eher das Handwerkliche reizt. Felian weiß schon genau, dass er Erzieher werden möchte. Und Marvin ist noch unentschlossen.
Die vielfältigen Aufgaben in der Eis Lounge – zwischendurch werden Kaffee-Schiffchen mit Zucker und Co. vorbereitet, Speisekarten sortiert oder Bestecktaschen gefüllt – meistern die Jungs jedenfalls mit viel Spaß. Felian bedient sogar strahlend und nur ein klitzekleines bisschen nervös einen Stammgast.
Ihr Eis in der Mittagspause haben sich die drei also redlich verdient. Und das ist sicher die schönste Aufgabe des Praktikumstages: selber den Portionierer durch die cremigen Köstlichkeiten zu ziehen. Danach werden dicke Sahnekleckse gezapft und süße Verzierungen auf die Eigenkreation gestreut, bis die Weckgläser fröhlich überquellen. Schnell schießen die drei noch das obligatorische Foto, schließlich sollen Familie und Freunde ein kleines bisschen neidisch werden auf diesen tollen Arbeitsplatz, und dann dürfen sie genüsslich schlemmen…
PS: Sandra Niewerth hat mir auch ein Eis angeboten und wer kann da schon Nein sagen? 😉 Meine ganz persönliche Empfehlung: Himbeere mit weißer Schokolade und Pistazie. Aber am besten sucht ihr euren Favoriten selbst – es lohnt sich!
Eis-Lounge Maria-Veen
Poststraße 23
48734 Reken
Tel.: 02864-9508710
Text und Fotos: Miriam Lethmate