
Kornblumen und Klatschmohn am Wegesrand, das ist für mich Sommer. Turmfalken und Schwalben über den Feldern, das ist für mich Sommer. Ähren, die sich wie Wellen bewegen. Saftiges Laub, das im Wind nach Meeresrauschen klingt…
Das Gefühl des Sommers ist auch unabdingbar verbunden mit kräftigen Farben und mit Süße. Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren, Johannisbeeren, Heidelbeeren, Stachelbeeren. Ich sage euch, ich liebe den Sommer!
Es war also eine große Freude, bei meinem Hofbesuch in Lüdinghausen ganz sommerlich von einer Vielzahl emsiger Hummeln an den Himbeerpflanzen begrüßt zu werden. Und natürlich von Benedikt Böcker, Juniorchef des Böcker 1848 Forstmannshof, und zurzeit vollauf mit der Himbeerernte beschäftigt.
Der Familienbetrieb hat sich ganz dem saisonalen Anbau verschrieben: Spargel, Erdbeeren und Himbeeren werden von April bis September geerntet, frisch verkauft und auch zu Köstlichkeiten wie Konfitüren oder feinsten Spirituosen verarbeitet.
Diese kann man im Hofladen kaufen und so setzen wir uns bei schönstem Sonnenschein erstmal draußen vor den Seiteneingang des Ladens, um über den Familienbetrieb zu sprechen. Mein Blick fällt auf das prächtige Stammhaus gegenüber, getüncht in Gelb und Weiß, erbaut 1864 von Anton Josef Böcker, verziert mit einer großen Sonnenuhr an der Südwand.
Die Geschichte des Familienbetriebs reicht also schon mehrere Generationen zurück. Junior-Chef Benedikt blickt erstmal auf die jüngere Geschichte, denn wir sitzen vor dem schmucken Hofladen, dessen Entstehung mich sehr interessiert.
Seine Eltern Agnes und Eberhard Böcker gingen vor 30 Jahren den mutigen Schritt, von der Bullenmast auf Spargelanbau umzusatteln. Dabei muss man wissen, dass Spargel erst nach drei Jahren Erträge abwirft.
„Meine Eltern haben nach der Wende nach Alternativen gesucht und klein angefangen. Den ersten Spargel hat meine Mutter aus der 20-Quadratmeter-Garage verkauft“, erzählt Benedikt Böcker. Agnes Böcker hat sich zu uns auf die Holzbänke vor ihrem Hofladen gesetzt. „Ihr Baby“ ist gut gediehen, auf mittlerweile 250 Quadratmeter. Und das echte Baby war von Anfang an dabei: „Den ersten Spargel habe ich mit Kind auf dem Arm verkauft“, erinnert sich die Chefin und guckt verschmitzt zu Sohn Benedikt, Jahrgang 1991.
Heute können sie im wahrsten Sinne die Früchte dieses Schrittes ernten: Neben der Landwirtschaft und dem Hofladen gehören die Brennerei und das Hofcafé (im Moment leider noch geschlossen) zum Forstmannshof.
Die Geschichte reicht, wie der Zusatz 1848 schon sagt, weiter zurück. Anton Josef Böcker kaufte 1830 den Hof und gründete 1848 seine Brennerei, in der bis heute die Korn-Spezialitäten nach Familienrezept produziert werden. Weizen, Roggen, Gerste wuchsen auf den Feldern, gingen in die Brennerei. Abfallprodukte wie die Schlempe wurden Bullenfutter, der Dung kam zurück aufs Feld.
Solch ursprüngliche Kreisläufe sind in der Landwirtschaft natürlich auch heute nicht wegzudenken, nur kommen mittlerweile auch moderne Techniken hinzu. Von der regenerativen Energie aus Böckers Biogas- und Photovoltaikanlagen profitieren Lüdinghauser Einrichtungen. „Wir heizen damit das Krankenhaus und das Gymnasium Canisianum“, erklärt Benedikt Böcker.
Die nachhaltigen Kreisläufe liegen auch Agnes Böcker sehr am Herzen. Sie beschäftigt sich stark mit dem Thema der vollwertigen, frischen Ernährung mit dem Verzicht auf industriell Hergestelltes. Der Modebegriff „Clean Eating“ umreißt dabei das, was in den Hofläden und landwirtschaftlichen Betrieben meist schon seit vielen Jahren selbstverständlich ist.
„Gehärtete Fette, Palmöl, E-Nummern, Konservierungsstoffe – die findet man in unseren Produkten nicht. Und die Kunden fragen verstärkt danach“, sagt Agnes Böcker.
Ich begebe mich also neugierig auf Streifzug durch den Hofladen. Ein wahres Kleinod mit allem, was das kulinarische Herz begehrt. Zuerst fällt mein Blick auf die imposanten Regale mit den Brennerei-Spezialitäten. Hier kann ich übrigens den “Solejo Likörn” empfehlen, den ich schon vor meinem Besuch einmal bei Freunden kosten durfte. Aber auch „Tante Paulas Vanille“ oder „Winterpflaume“ klingen herrlich und bestärken meinen Plan, im Herbst zurückzukommen, um nur die Brennerei vorzustellen.
Jetzt im Juni soll es aber erstmal um das saisonale Obst gehen, welches mir mannigfaltig auch im Hofladen begegnet. Die frischen, saftigen Erdbeeren lachen mich ebenso an wie Früchte in anderer Form: Rhabarber-Trunk, Birnensaft oder Holunderblüten-Gelee. Natürlich aus eigenen und regionalen Früchten, die am Hof verarbeitet werden. Eine besondere Geschichte erzählt Benedikt Böcker über den Holunderblüten-Traum. Denn bei diesem hat niemand Geringeres als seine 86-jährige Großmutter die Federführung. „Ja“, erzählt der Junior stolz, „Oma ist dann hier in der Nähe unterwegs und pflückt die Holunderblüten. Das Gelee wird hier am Hof eingekocht. Aber auch alle anderen Marmeladen produzieren wir selber.“ Die Produkte des Betriebs sind daher auch mit dem Münsterland-Siegel ausgezeichnet.
Wir gehen über den großen Hof, vorbei an der Brennerei, durch das von großen Säulen eingefasste schmiedeeiserne Tor. Linker Hand erstrecken sich die Himbeer-Tunnel, sechs an der Zahl, mit einer Länge von je 150 Metern. Es summt und brummt schon beim Eintritt. Tausende Hummeln sind Böckers fleißige Mitarbeiterinnen. Und auch drei Imker haben ihre Bienenstöcke nahe der Tunnel aufgestellt. Ein perfekter Kreislauf.
In jedem Tunnel wird, wenn etwa Mitte Mai rund zehn Prozent der Himbeerblüte zu sehen ist, ein Hummelvolk zum Bestäuben an die Arbeit gelassen. Jetzt, Mitte Juni, sitzen bereits große rosige Beeren an vielen Stauden. Der sofortige Geschmackstest – wer kann da bitteschön widerstehen? – ist eindeutig: sehr saftig, aromatisch süß, butterweich auf der Zunge. Am besten kauft man die Himbeeren direkt im Hofladen. Frischer geht´s nicht. Aber die Familie Böcker beliefert natürlich auch eigene Stände bis ins Ruhrgebiet, den Einzelhandel und Restaurants.
Für das eigene Hofcafé fehlen leider zurzeit die Fachkräfte, erzählt Benedikt Böcker, der sich als studierter Landwirt vornehmlich um die Ernte und die Brennerei kümmert. Da startet der Tag morgens um sechs und endet auch mal erst abends um neun oder zehn. „Aber für mich war schon immer klar, dass ich auf dem Hof arbeiten möchte. Ich saß schon als Kind gerne auf dem Trecker. Es war also eine schnelle, einfache Entscheidung.“
Wir schlendern zurück Richtung Hofladen, vor dem man normalerweise auch die hausgemachten Kuchen und Torten aus dem Café genießen kann. Ich hoffe also sehr, dass ich nicht nur für die Brennereibesichtigung zurückkehren darf, sondern vor allem auch für die Himbeer-Mascarpone-Torte, die weit über Lüdinghausen bekannt ist.
Und zum Glück haben die Himbeeren bis Ende September Saison. Der Geschmack des Sommers wird also noch einige Monate an meiner Seite bleiben.
Böcker 1848 Forstmannshof
Text und Fotos: Miriam Lethmate
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